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Franziska Lengerer

Zwischen Granatapfelbäumen, hupenden Autos, inspirierenden Frauen und viel, viel Herzlichkeit: Die vielfältigen Eindrücke haben mich stärker geprägt als erwartet

Kurz vor der Masterarbeit stehend entschied ich mich im Sommer 2017 für einen Abstecher nach Baku, um dort Arbeitserfahrung im außereuropäischen Ausland zu sammeln. Die Praktikumsbeschreibung klang vielversprechend und die Kaukasus-Region war bislang nur ein abstrakter Begriff für mich – genügend Gründe also um Deutschland für zweieinhalb Monate zu verlassen. Vor meiner Abreise entschied ich mich für die Unterkunft in einer Gastfamilie, um einen noch tieferen Einblick in die aserbaidschanische Kultur zu bekommen. Das Team des International Office der ASOIU Universität unterstützte mich bei diesem Vorhaben und half mir im Vorfeld mit sonstigen erforderlichen Unterlagen.

Am Flughafen in Baku angekommen, wurde ich bereits vom verschmitzt lächelnden Busfahrer der Universität erwartet. Mit der Erklärung „Present for you“ drückte er mir eine Tüte mit mehreren Informationsbroschüren und Büchern zur aserbaidschanischen Kultur in die Hand. Da es bereits spät nachts war, fuhr er mich direkt zu meiner Gastfamilie. Es war schnell klar, dass wir weder auf Englisch noch auf Aserbaidschanisch weiter als „Hallo, wie geht’s“ kommen würden, und so war ich froh um die laute Popmusik im Auto, die der Fahrer lauthals mitsang: „Oops I did it again…“

Wir fuhren über breit ausgebaute Autobahnen Richtung Stadt, vorbei an hell- und bunt-erleuchteten Neubauten. Ich war zugegebenermaßen überrascht. Je näher wir meiner neuen Heimat im Viertel Yeni Yasamal kamen, desto enger und holpriger wurden jedoch die Straßen. Als wir die richtige Seitenstraße im Gewirr von Autos, Fußgängern und Bussen gefunden hatten, kam meine neue Gastfamilie auch schon direkt auf mich zugelaufen. Die Herzlichkeit mit der ich von der ersten Sekunde an aufgenommen wurde, war ein großes Geschenk für mich. Wenn ich ehrlich bin prägte das Familienleben meine Zeit in Baku stärker als ich erwartet hatte.

Obwohl ich die Familie von Anfang an ins Herz geschlossen hatte, und alle sich rührend um mich kümmerten, war genau das zu Beginn nicht immer einfach für mich als Freiheitsliebende. Mit der Zeit spielte sich der Alltag jedoch immer besser ein, und bald sah ich nur noch die Vorteile dieser Situation: Ich bekam tiefe Einblicke in Familienstrukturen, Werte und Bräuche, die mir sonst auf jeden Fall verwehrt geblieben wären. Ich wurde auf Roadtrips durch’s ganze Land zu Freunden und Verwandten kutschiert, und durfte überall die Kochkünste der Frauen bestaunen. Ihre „magischen Hände“ kreierten verschiedenste Sorten von Pilaf, Dolma und alle möglichen anderen lokalen Speisen. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich selten so gut gegessen habe. Die einzige Frage, die ich für mich selbst beantworten musste, war: Fleisch ja oder nein? In Deutschland hatte ich ein Jahr zuvor aufgehört Fleisch zu essen aufgrund der globalen Strukturen der Fleischindustrie, des enormen Wasser- und Flächenverbrauchs und Landgrabbing Skandalen im Ausland. In Aserbaidschan sah ich jedoch lokale, kleine Farmen, und direkte Verarbeitung bei nahe gelegenen Metzgern (tatsächlich musste ich in meiner Nachbarschaft fast jeden Morgen einen Schlachtprozess vor einem der Metzger-Läden miterleben – woran ich mich aber irgendwann gewöhnte). Aber zurück zur Antwort auf die Frage Fleischkonsum ja oder nein: Ich entschied mich dafür ab und zu Fleisch zu essen, da so gut wie alle aserbaidschanischen Speisen Fleisch enthalten und die Hauptmotivation für meinen Fleischverzicht in Deutschland hier (noch) nicht aktuell ist. Trotzdem denke ich, dass der Fleischkonsum der meisten Menschen hier zu hoch ist, was sich jedoch vermutlich nicht so bald ändern wird, da Fleisch noch als Statussymbol gilt.

Was mich sehr beeindruckt hat, war das Leben der Familien auf dem Land, die auf kleinen Bauernhöfen fast alle Lebensmittel selbst herstellen. Mein größter Respekt gilt den Frauen dort, die sich nicht nur um den Haushalt, sondern nebenbei auch noch um Tiere und Pflanzen kümmern. Im heißen Landesinneren findet man in ihren Gärten von Granatäpfeln und Kräutern, über Birnen und Heyva auch riesige Flaschenkürbisse. Die innere Stärke und Herzlichkeit, die diese Frauen trotz ihrer harten körperlichen Arbeit auf mich ausstrahlten, werde ich nicht vergessen – die strukturellen Zwänge, die dieser Rolle zum Teil zu Grunde liegen immer im Hinterkopf.

Aber ich war ja eigentlich nicht für das Familienleben und anthropologische Beobachtungen in Aserbaidschan, sondern um beim DAAD und dem International Office der Staatlichen Öl und Industrieuniversität ein Praktikum zu machen. Meine Hoffnung auf einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag und verschiedenste Einblicke wurde mehr als erfüllt. Während ich beim DAAD Bewerbungstrainings und Konversationskurse leiten, und in der Bewerbungsphase mithelfen konnte, ging es im International Office häufig um das Erarbeiten von Projekt- und Förderanträgen und die Auswahlprozesse von Studenten für Auslandsaufenthalte. Besonders interessant fand ich dabei die inhaltliche Vorbereitungsarbeit für zukünftige Projekte wie die Summer School 2018. Außerdem hatte ich wiederholt die Möglichkeit eine Dozentin für Deutsch in ihre Kurse zu begleiten, wodurch ich einen Einblick in die Seminarkultur und direkten Kontakt zu Studenten bekam.

Ich war also vormittags im einen Büro, nachmittags im anderen und zwischendrin immer mal wieder in Deutschkursen oder zu Besuch in anderen Universitäten. Als wäre das nicht eh schon spannend, hatte ich ab der dritten Woche auch einen Russisch-Kurs, der mich zwar immer wieder überforderte, aber gleichzeitig auch viel Spaß machte. Die Tage waren lang, aber nie langweilig. Anstrengend, aber immer bereichernd. Das liegt auch zu einem großen Teil an den Teams beider Büros, die sich mit viel Engagement und Herz für die Internationalisierung der Universität und ihrer Studenten bemühen. Ich fühlte mich in beiden Teams sehr schnell wohl und habe das Gefühl, dass ich von der Zweiteilung meiner Stelle sehr profitieren konnte. Dies gilt auch für die Kontakte, die ich durch die Arbeit knüpfen konnte. Über das International Office bekam ich Anschluss an die Universität, deren Leitung und aserbaidschanische Lehrkräfte. Durch meine Stelle beim DAAD dagegen entstand ein Kontakt zur deutschen Botschaft und anderen in Aserbaidschan aktiven Deutschen. Der Kontakt zu aserbaidschanischen Studierenden war natürlich in beiden Büros jederzeit gegeben.

Diese Vielfalt an Eindrücken wird mich noch lange beschäftigen. Der Ehrgeiz und Fleiß vieler junger Menschen hier hat mich sehr inspiriert, ebenso wie die Gastfreundschaft der Familien gegenüber Fremden. Was mir persönlich bleibt, ist ein Mosaik aus verschiedenen Sichtweisen und Meinungen, die ich in Gesprächen über das Land Aserbaidschan, seine Situation und die Kaukasus Region im Allgemeinen gesammelt habe. Ich bin mir sicher, dass ich für das Zusammensetzen dieses Puzzles noch öfter in diesen Teil der Welt zurückkehren werde.

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